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Lebenszeichen

23. März 2013

Mein Zielpublikum bin ich. (Walter Moers in einem seiner seltenen Interviews)

So was ähnliches habe ich schon mal zitiert, doch ich habe Anlass zu dieser sinngemäßen Wiederholung: Ich entspreche nämlich der Aussage meines Lieblingsidols (von dem in meiner Schreibe nicht nur das ein oder andere Mal explizit die Rede war, sondern dessen unbewusste, darum aber nicht minder dreiste Abkupferung ich auch in den Reiseerinnerungen meiner vielleicht nicht sentimentalen, aber eben redseligen Selbst bei nochmaliger Lektüre zu erkennen nicht umhin kann), indem ich das lange Schweigen breche, in das ich mich blogmäßig für beinahe ein Jahr gehüllt habe. Im Wesentlichen bestand die Inspiration darin, dass ich die Reue über die Nichterfüllung meiner gefühlten verfasserischen Pflichten sowie die Sorge, dass meine ohnehin kleine Schar getreuer Leser mich im Verlauf des besagten beinahe ganzen Jahres in Ermangelung lesenswerter oder auch nur überhaupt zu lesender Veröffentlichungen mit schroff gerümpften Nasen abgeschrieben und vergessen haben dürfte, den Worten meines Vorbildes (in vielleicht mehr als dem vorgesehenen Maße) nacheifernd ignoriere und einfach schreibe, weil sowohl mir als auch meinem Zielpublikum, also eben auch mir, mal wieder ein bisschen danach ist.

Das ändert natürlich nichts daran, dass ich im Prinzip ebenso wenig zu sagen habe wie die vergangenen Monate auch, aber ich will ja nichts sagen, sondern schreiben, und da liegt, wie ich vermute und irgendwelche spitzfindigen Germanisten sicher mal irgendwo spitzfindig begründet haben, ein Unterschied. Im Unterschied zu meiner nie enden wollenden Verzweiflung über das Ausbleiben einer brillanten Romanidee brauche ich hier auch weder meinen eigenen Ansprüchen daran, was es sich eigentlich wirklich aufzuschreiben oder zu lesen lohnt, zu genügen, noch über diejenigen einer kaufenden und zahlenden Leserschaft zu grübeln, sondern kann einfach darüber schreiben, dass ich schreibe, und zwar eigentlich über gar nichts. Das ist vielleicht etwas albern, aber ich für meinen Teil finde es marginal besser, als diesen Blog vollends veröden zu lassen, und vielleicht freut sich ja noch irgendwer darüber, in den unvorstellbaren Weiten des Internets – die übrigens trotz ihrer Unvorstellbarkeit angeblich unlängst, wie mir mein Bruder erzählt hat, tatsächlich mehr oder weniger vermessen wurden, indem sich einer in zahlreiche Server hackte, auf deren Menge aufbauend irgendwelche mehr oder weniger intelligenten und mehr oder weniger willkürlichen Berechnungen anstellte und so eben den Gesamtumfang des World Wide Web ermittelte oder erriet oder erlog, oder so.

In diese Weiten entsende ich also nun einige Sätze, in denen im Wesentlichen nichts steht, außer: Es gibt mich noch, und meine Mitteilsamkeit gibt es auch noch, und vielleicht gibt es in nicht allzu ferner Zukunft sogar etwas, worüber sie sich in einer in Ansätzen interessanten und lesenswerten Denkschrift, einem literarischen Fragment oder halt einem ebenso inhaltsarmen Geschreibsel wie diesem hier auslassen kann.

Bis dahin. x

beeindruckende Eindrücke

11. April 2012

Von den letzten drei Tagen in Tokyo erzähle ich verspätet, weil ich nach meiner Rückkunft zunächst noch meinen Japankater (gefleckt, mit winkender Pfote und Glöckchen) überwinden musste und mich dabei erneut von meinem Biorhythmus, der sich auch zur Bewältigung des umgekehrten Jetlags für ein von der vorherigen Schlafdauer völlig unabhängiges Aufwachen morgens um fünf entschieden hat, überraschen ließ; sie selbst, also die letzten Tage, waren derart dicht bepackt mit bemerkenswerten Erlebnissen, dass sich das Sortieren der Erinnerungen nicht ganz leicht gestaltet, der Abschied und Abschluss dieses schönen Urlaubes aber umso mehr: Wir waren schlicht derart gesättigt mit herrlichen Erfahrungen, dass wir gar keine weiteren mehr verkraftet hätten. Den Kirschblütenentzug erleichtern außerdem die Pflaumen, die hierzulande sprießen, eine sogar geradewegs vor meinem Fenster im Garten; die Anwesenheit einer ausnehmend flauschigen Katze sowie meines Bruderherzes tun außerdem das jeweils Ihrige, mir die Ankunft zu versüßen.

Aber lasst mich versuchen, im Geiste zusammenzukriegen, was denn nun noch alles passiert ist, seit ich unsere kulinarischen Exzesse mit dem Professorenfreund schilderte. So kamen wir bspw. erneut in den Genuss luxuriöser japanischer Küche, oder wären es zumindest, wenn ich nicht an jenem Abend (Freitag war’s) eine zauberhafte Bekanntschaft gemacht und das Auf- und Abtragen der zahllosen exquisiten Gänge vor lauter Begeisterung und Gesprächsvertieftheit beinahe vollständig versäumt hätte. Der englische Wortschatz dieser lieben neuen Freundin beträgt etwas das Doppelte meines japanischen, was bedeutet, dass wir weite Teile unseres angeregten Austausches unter reichlichem Lachen mit Händen und Füßen, Stift und Papier, verschiedenen mehr oder minder artikulierten Ah– und Oh-Lauten sowie den Vokabeln daisuki, kawaii, sugoi und Facebook bestritten. Es stellte sich heraus, dass sie einen deutschen Schwager hat, was ein Wiedersehen in hiesigen Gefilden durchaus wahrscheinlich macht und uns beide vor Vergnügen quasi Purzelbäume schlagen ließ. Wir verabredeten uns für den übernächsten Tag zur Feier von O-Hanami im Yoyogi-Park, von der noch die Rede sein wird.

Zunächst aber, am Samstag nämlich, quälten wir uns in aller Herrgottsfrühe aus dem Bett und nach Shinjuku (auch von der Aussprache dieses Ortes wird noch die Rede sein, aber um des guten Geschmacks willen nur am Rande, und überhaupt vielleicht lieber in einem lang überfälligen neuen Eintrag in eine irgendwann mal oberflächlich begonnene Aufzeichnungsreihe von Grievances), bewaffneten uns proviantshalber mit den besten Süßigkeiten der Welt und brachen vermittels einer zweistündigen Busfahrt auf nach Kawaguchiko.

Jetzt könnte ich vielleicht den Unkundigen unter den geneigten Lesern erklären, was Ko heißt und wie viel Go sind und was dementsprechend die Fuji Go Ko sind; vielleicht sprechen aber eine Handvoll Bilder besser, die eh genauso überfällig sind wie dieser Eintrag.

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everything in moderation, including moderation

5. April 2012

 

Tokyo eine große Stadt zu nennen, reicht nicht im Mindesten. So viel sagt ja schon der Name, wenn ich mich recht an die Übersetzung erinnre. Immens kommt der Sache schon näher, oder gewaltig. Sich in diesem Gigant zurechtzufinden, ist ein Kunststück, das mir gelegentlich mit mehr Glück als Verstand gelingt (nur in Metrostationen vermag ich mich, vielleicht der Übung wegen, in der Regel durchaus rasch zu orientieren), meistens aber taumle ich tendenziell verwirrt und verirrt durch die unüberschaubaren Häuserschluchten; so gestaltete sich auch heute die Heimkehr nach einem mehrstündigen Alleingang, der in Sachen Kraftaufwand mehr einem Marathon denn einem Stadtbummel glich, etwas labyrinthisch. Kaum hatte mich die Bahn in Hamamatsucho ausgespuckt und ich den richtigen Ausgang gefunden, setzt meine Erinnerung ein paar Straßen weit aus; ich wartete auf die Ladenfronten und Straßenzüge, die ich mir auf dieser eigentlich vertrauten Strecke eingeprägt hatte, wurde stattdessen aber nur von immer neuen Ansichten dieses doch eigentlich winzigen Viertels überrascht. Es kostete mich eine Rückkehr zum Bahnhof, einen Umweg über die Hauptstraße, hunderte Blicke zu den überirdischen Bahnschienen sowie zum Tokyo Tower, die man leider beide nicht nur vom Hotel, sondern anscheinend von überall zu beiden Seiten sieht, und zahllose Flüche im Flüsterton, bis ich schließlich völlig unvermittelt hinter einer Kurve das Hotel erblickte und darüber eigentlich fassungsloser war als über meine desorientierten Streifzüge zuvor.

So bin ich also schmerzenden Fußes, aber wohlbehalten heimgekehrt, fühle mich so fertig, wie ich eh den ganzen Tag ausgesehen haben muss (was so ein blaues Auge ausmacht!), und schmeiße mich nun noch in einen meiner neuen Einkäufe, ehe ich mich der Reihe nach zum Abendessen, ins Onsen-Bad (das klingt aber komisch. Dabei ist es doch gar keine Doppelung, denn Sen heißt meines Wissens Quelle) und schließlich ins Bett schleppen werde: schöne Aussichten.

In einem der Kaufhäuser auf der Ginza einzukaufen, ist eine bemerkenswerte Erfahrung, die wundervolle und beängstigende Momente in sich vereint. (Allein heute habe ich es durch OIOI, Matsuya, Matsuzakaya, Mitsukoshi, Printemps und Nishi geschafft, was vielleicht meine oben skizzierte Erschöpfung erklärt.) Im Laufe meines kurzen Lebens habe ich mir ja bereits einen pokerfaceartig eingefrorenen Gesichtsausdruck antrainiert, der immer dann automatisch einrastet, wenn ich nichtsahnend nach dem Preis einer Klamotte sehe und derselbige sowohl meine Erwartungen als auch meine finanziellen Möglichkeiten um ein Vielfaches übersteigt: eine Art nonchalant-blasierten Desinteresses, mit dem sorgsam verbissenen Anflug eines geschmerzten Lächelns. Den habe ich heute oft gebraucht, bspw. als ich den ersten Stock des Matsuya durchquerte, der fast schon dazu gedacht scheint, das Fußvolk vom Betreten der oberen Stockwerke abzuschrecken und beim Anblick der aneinandergereihten Boutiquen namhafter europäischer Marken hochkant in die Flucht zu schlagen. Ich war ausgesprochen erleichtert, nach einer weiteren Rolltreppe wenigstens wieder Kleider auf Stangen statt auf Puppen zu erblicken, und zwar jeweils mehr als zwei auf einmal, sonderlich bezahlbar wurde es aber leider kaum noch. Dementsprechend zwiespältig war der übersprudelnde Beratungseifer der Verkäuferinnen, sobald ich es wagte, den Ärmel eines seidenen Hauchs von Nichts mit den Fingerspitzen zu streifen, insbesondere da mein Japanisch nicht zum höflichen Abwimmeln reichte und ich mich mit Gesten vorsichtig zurückhielt.

Wenn man aber zur Abwechslung mal nicht vom quälenden Bewusstsein der eigenen Insuffizienz übermannt wird, wird die Aufmerksamkeit der übrigens auch hier in den höchsten Tönen flötenden und näselnden Damen in jedem Laden zur ausgesprochen erfreulichen Angelegenheit. Gerade die verlegenen zweisprachigen Kommunikationsversuche gestalten sich dann sehr nett, und wenn man sich schließlich zu einem Kauf durchringt, nehmen die Freundlichkeitsüberschüttungen gar kein Ende mehr. Für den Rock, den ich nach wie vor gleich anzulegen plane, habe ich zwei Anläufe und zwischendurch Bedenkzeit gebraucht, weswegen ich sogar in den Genuss zweier Verkäuferinnen kam. Mit beiden gab es redselige Diskussionen über Schnitt, Passform, Farbgestaltung usw. auf Japanisch und Englisch mit einer winzigen, aber dafür umso erfreulicheren Schnittmenge des gegenseitigen Verständnisses; wir einigten uns schließlich darauf, dass das Teil very cute bzw. totemo kawaii sei, batenvieltausendmal um Verzeihung für unsere jeweilige sprachliche Imkompetenz und übertrafen die Zahl der Entschuldigungen nur noch durch Dankesbekundungen. Am Ende wurde mir sogar meine Tüte noch bis zur Tür nachgetragen, was mich vor lauter Begeisterung und Verlegenheit beinahe vergehen ließ.

Verständigungsversuche sind überhaupt etwas Schönes: Vor einigen Tagen haben wir zusammen mit einer japanischen Bekannten, die Englisch an der Universität lehrt und dementsprechend vor einem sehr putzigen Akzent (Oh, reary?) einmal abgesehen perfekt beherrscht, und ihrer Mutter, die kein Wort irgendeiner mir einigermaßen bekannten Sprache spricht, einen Ausflug nach Amanohashidate gemacht. Die alte Dame ist ganz zauberhaft, klein und zierlich und ausgesprochen mitteilsam. (Sie erinnerte mich ein klein wenig an die ebenfalls winzige russische Großtante meines Freundes, die mich beim Ballettbesuch in Moskau auf die Toilette begleitete und unaufhörlich auf mich einredete, allerdings ohne die Übergriffigkeit, die mir bei jenem Anlass zuteilwurde, und dafür mit deutlich mehr Charme.) Als wir einige Minuten allein miteinander auf einer Parkbank saßen, schafften wir es tatsächlich ein Gespräch zu führen, in dem ich mit meinen paar Brocken Hauruckjapanisch immerhin imstande war zu erklären, wo ich studiert hatte und wie lange und warum mein Englisch dementsprechend nicht so bestürzend schlecht sei wie mein Japanisch. Wir waren beide ganz begeistert.

Der liebe Freund der Familie (seines Zeichens Professor und der arroganteste, aber auch charismatischste Japaner, den ich kenne), der uns gestern in den obersten Stock des Daimaru am Hauptbahnhof einlud, bestand wiederum darauf, dass wir all unsere Japanischkenntnisse, die sich in meinem Fall wie gesagt auf eine kümmerliche Handvoll Floskeln belaufen, eifrig anbrächten; wir hatten reichlich Gelegenheit zu üben, indem wir uns eine ganze Flasche Sake (der einzig wahre Sake, wie er meinte, nämlich Daiginjo) aus immer wieder aufgefüllten winzigen Gläschen, die wir uns vorher sogar selber aussuchen durften, nach und nach hinter die Binde gossen. Der Schnaps machte den Abend und auch unseren Gastgeber ausgesprochen unterhaltsam, begleitete ein Essen von unbeschreiblicher Delikatesse und wurde gefolgt von einem Obstgang und zwei Erdbeer-Basilikum-Martinis, was, wie ich meine, so ziemlich den Gipfel des irdisch möglichen Genusses darstellt. Leben wie Gott in Japan, sollte es heißen, das tun wir nämlich so was von.

In diesem Sinne stürze ich mich nun, da ich mich wieder einigermaßen rühren kann und meine Fußsohlen allmählich an Taubheit verlieren, endlich auf das japanisch-italienische Abendbuffet im Erdgeschoss und entschuldige mich für den Mangel an photographischer Evidenz, den ich vielleicht bei Gelegenheit noch ausgleiche. Ich hoffe sehr, dass die kulinarischen Anschaulichkeiten es wett machen.

 

Glück und Leid

3. April 2012

Wenn es hier nicht abgesehen von verschiedenen Gebrechen, derer mich eines nach den anderen heimsucht, so schön wäre, würde ich sagen, dieses Land hat sich gegen mich verschworen: Kaum verkrümelt sich meine Erkältung, hole ich mir erstens eine gefühlte mittlere Gehirnerschütterung am Autotürrahmen des ersten Tokyoter Taxis, in das ich steige, und bekomme zweitens von einem ungeschlachten Zeitgenossen, der mir in der Stadt entgegenkam und, indem er gegen den um uns tobenden Sturm und Regen anrannte, seinen Schirm beinahe waagerecht vor sich herschob, die Spitze desselbigen ins rechte Auge. Der Schuft hat sich nicht mal umgewandt und sich nach meinem Befinden erkundigt, was nicht nur eines Japaners höchst unwürdig ist (entschuldigt man sich doch hier sonst schon für knapp vermiedene Zusammenstöße ganz selbstverständlich, vgl. in England), sondern in einer solchen Situation an Fahrerflucht grenzt. Da ich aber mein Augenlicht behalten, unlängst eines dieser putzigen Handtücher im Taschentuchformat erstanden und beim Abendessen im Hotel ein Glas voller Eiswürfel erbeutet habe, die sich darin einwickeln und gegen mein Gesicht halten lassen, ist eben doch alles nicht so schlimm, und wird durchaus aufgewogen von den Großartigkeiten dieses Urlaubs.

Die Stadt, in der alles klein und niedlich und gemustert und zahlreich ist, haben wir heute hinter uns gelassen; unser Gepäck hat sich vor lauter Mitbringseln und Geschenken beinahe verdoppelt (was die Lufthansa dankenswerterweise, wie wir heute erneut zugesichert bekamen, bei Japanflügen toleriert). Auch ich habe allerhand Dinge gekauft, von denen ich zuvor nicht wusste, dass ich sie dringend, ja unbedingt brauche: allem voran Täschchen und Anhängerchen, die es gerade in Kyoto sonderzahl, und speziell zu allen möglichen und unmöglichen Verwendungszwecken gibt.

So befinde ich mich im Besitz eines neuen Portemonnaies, zweier stoffbezogener Brillenetuis, einer neuen glitzernd gemusterten Schutzhülle für mein Telephon, eines seidenen Visitenkartenmäppchens, eines winzigen Täschchens, in dem ich Kontaktlinsen und Medikamente für den gegebenenfälligen Gebrauch unterwegs mitführe, weiterer Beutelchen, um deren Verwendung ich mich nicht zu sorgen brauche, weil ich sie verschenke, diverser Anhängsel (eine schwarzweiße Miniaturkrawatte für meine andere Handtasche, denn eine ist ja schon bestückt, Würfelchen, Kugeln und Vögel zum Verschenken, verschiedene Blümchen sowie eine Katze, die der an unserem ersten Tag erspielten gleicht, für das Portemonnaie), und insbesondere der Krönung der sinnhaften Sinnlosigkeit: ein rosa Beutelchen von der Größe einer handelsüblichen Zigarettenschachtel mit Klemmverschluss und einer Außentasche, in die sich wiederum bequem ein Feuerzeug im passenden Etui, das seinerseits eine Kette am Verlorengehen hindert, schieben lässt – die ganze Chose ist natürlich aus Seidenkrepp, und zwar in Rosa, und zwar mit Kirschblüten und Hasen drauf, und zwar mit diesen besonders putzigen japanischen Hasen, die nur in einem nach vorne verjüngten weißen Oval mit roten Ohren und Augen bestehen. Außerdem habe ich ihr selbstredend bereits einen Anhänger verpasst, eine völlig kugelförmige Glückskatze nämlich, ebenfalls rosa geblümt. Mit Glöckchen. Dass ich neuerdings kaum noch rauche, tut nichts zur Sache: Das war und ist einer der zauberhaftesten und beglückendsten Einkäufe, die ich je getätigt habe. (Wer mag, kann die obige Schilderung zum Anlass nehmen, das zweite Photo im letzten Artikel als Suchbild zu verstehen. NB allerdings, dass einiges zum Zeitpunkt der Aufnahme noch nicht erworben war, und die hier üblichen hübschen Verpackungen kleinere Kinkerlitzchen vor dem Blick des geneigten Betrachters verbergen.)

Und obwohl oder gerade weil ich mich in Kyoto bereits in Sichtweite des finanziellen Ruins manövriert habe, stürze ich mich heute selbstredend mit umso mehr Eifer und meinem blauen Auge auf die Ginza. Schilderungen folgen.

Überflutung in verschiedenen Sinnen

31. März 2012

Heute habe ich mich einigermaßen von der Erkältung erholt, die mich beim Tagesausflug nach Tottori (wo ich mich, wie versprochen, zumindest ein wenig mit Sand besprenkt habe) heimsuchte. Ihretwegen verbarg ich mein kränkelndes Antlitz den hiesigen Gepflogenheiten entsprechend hinter einer Mundschutzmaske, was tatsächlich seinen Reiz hat: Man kann aussehen, wie man halt aussieht, wenn man krank ist, und braucht sich weder darum Sorgen zu machen noch um die Richtung des eigenen Hustens.

Jedenfalls befand ich mich heute Morgen wieder wohl genug, um dem strömenden Regen in die gigantische, weitestenteils überdachte Einkaufsmeile zu entfliehen. Wir sind in Kyoto, der einzigen Stadt bisher, die ich zum  zweiten Mal besuche, und derjenigen mit dem umfangreichsten und herzallerliebsten Auswahl aus rosa geblümtem Seidenkreppgewusel mit Hasen und Katzen und Fischen und Bommeln und Schleifchen. Weiterlesen …

fernöstliche Ausschweifungen

28. März 2012

Die letzten drei Tage standen im Zeichen kulinarischer, botanischer und photographischer Exzesse. Wir entflohen der windigen Kälte im bergigen Awa-Ikeda und zuletzt sogar einer dünnen Neuschneedecke ins an der Südküste der Insel Shikoku gelegene Kochi. Nur eine halbstündige Busfahrt, die wir so bald als möglich nach unserer Ankunft zum ersten Mal antraten, trennte uns dann noch vom Pazifik: Kaum hatte man es von der Haltestelle durch eine industriegebietsartige Anlage von Touristenbespaßungen an den Strand Katsurahama geschafft, durfte man den Ozean bestaunen, dekoriert durch einen pittoresk auf einer klippenartigen Anhöhe gelegenen Schrein und glatt und blau und endlos.

Der Anblick war wundervoll, wenn auch noch nicht Auslöser oder Motiv für die photographische Wut, die uns später überkam: An der Busstrecke zwischen Kochi und Katsurahama liegt nämlich ein botanischer Garten, und obschon die Kirschblüte auch hier verzögert eingetreten war, überwältigten uns dort bei strahlendem Wetter bunte Blumenmeere: Magnolien, Azaleen, Hibisken, Kamelien und endlich auch der ein oder andere von unverhofft üppigen rosafarbene Blütenwolken umwattete Kirschbaum.

Die beiden Nächten in Kochi verbrachten wir in einem Hotel, das einem traditionellen Riokan glich, obgleich es wohl im engeren Sinne keines war. Die Räume waren mit Tatamimatten ausgelegt, auf denen es sich wie immer dermaßen traumhaft (pardon the pun) schlief, dass ich mir zuhause einen Futon anschaffen will; das Essen gab es zwar nicht auf dem Zimmer, dafür war es aber jeweils (zwei Frühstücke und zwei Abendessen nahmen wir in Anspruch) individuell zusammengestellt und für unsere nur bedingt mit japanischen Geschmäckern vertrauten Gaumen ein experimentelles Erlebnis.

Am ersten Abend gab es verschiedene Tempura (frittierte Krabben nebst weniger eindeutig Identifizierbarem), Misosuppe mit Muscheln, Krebsscheren, eine Sashimiauswahl und Meeresschnecken, an die ich mich, obwohl ich im Leben noch nicht einmal Escargot probiert habe, tapfer wagte und es tatsächlich schaffte, zwei der hartnäckigen Mollusken mit Essstäbchen an ihren spitz bezahnten, tja, was? Stacheln? Füßen? aus ihren Häusern zu zupfen. Es gab noch mehr, eine enorme, erhöht auf dem Tisch thronende Platte sowie verschiedene bunt gemusterte Schälchen für jeden, die vor interessanten und zugegeben teils gewöhnungsbedürftigen Delikatessen überquollen; wir schafften vielleicht die Hälfte.

Am zweiten Abend gab es Shabu Shabu, was mich zunächst in Begeisterungsstürme ausbrechen ließ, ehe ich bemerkte, dass es mit Schweine- statt Rindfleisch serviert wurde; dass ich es mit meinem dürftigen Japanisch schaffte, mir eine Bitte nach Sesamsauce zusammenzustammeln, war erfreulich, und die übrigen in der Algenbrühe gegarten Zutaten vorzüglich. Noch dazu verwöhnte man uns mit frischen Erdbeeren und irgendeinem obszön sahnigen Dessert.

Zum Frühstück gab es bis auf Tee und Suppe nur Dinge, die zum Frühstück zu essen ich beim besten Willen mit meinem anderweitig konditionierten und schon für ein Full English Breakfast zu morgenmuffligen Magen einfach nicht schaffte: sauer eingelegten und rohen Fisch (wir waren schließlich am Meer), gekochten, aber kalten Spinat, Wurzelgemüse und je einen leicht verfälschten Schnipsel europäischen Frühstücks, bspw. Würstchen oder gezuckertes Rührei. In diesem Sinne freue ich mich über alle Maßen wieder im selben Hotel in Okayama zu nächtigen wie an den ersten beiden Tagen: Morgen früh wartet erneut der Luxus von Udon, gekochtem Kürbis und Joghurt mit Kiwi- und Erdbeersauce!

Den Gipfel der Ausschweifung aber erreichten wir heute Abend in einer kleinen Kneipe im Bahnhofsviertel von Okayama: Edamame, yakitoriartig marinierte Steakhappen, Muscheln, irgendwas mit Tofu, Rind und Ei, dazu Pflaumenwein, anschließend verboten gutes schwarzes Sesameis mit Mochi und Sahne, irgendwas mit Kinako und Vanilleeis sowie ein alkoholfreies Getränk mit Kiwipuree und Tonic Water, in das man bloß einen Schnaps zu kippen braucht, damit es meinem bisherigen Lieblingsaperitif, dem Hugo, durchaus Konkurrenz macht. Ich werde mir das merken, jetzt aber entsprechend satt und zufrieden in mein Hotelbett sinken, um morgen die Dünen von Tottori zu besuchen und mich wie versprochen rituell für mein Schweigen der letzten Wochen zu kasteien.

Eine Frage noch zuletzt. Da dies ohnehin zeitweilig zum Reisetagebuch sich wandelt: Möchte die geneigte Leserschaft sich an weiteren Photographien ergötzen? Es gibt Blumen über Blumen, Tempel & dgl., Landschaften und gelegentliche kuriose Putzigkeiten. Bitte schreit Hier oder Bitte nicht oder wonach euch sonst der Sinn steht!

von Katzen, Kurvenfahrten und Kirschbäumen

25. März 2012

Durchgefroren und durchgeschüttelt kehre ich heute ins Hotel zurück: Wir haben uns eine Bustour durch das bergige Umland von Awa-Ikeda auf Shikoku angetan, deren Führerin eine bemerkenswerte Fähigkeit zum schnellfeuerartigen Sprechen ohne Atempausen an den Tag legte und ihren Monolog auf der insgesamt vierstündigen Fahrt tatsächlich nur für eine Gesangseinlage unterbrach, die insbesondere für des Japanischen unkundige Passagiere (aber wir waren ja nur zu zweit und hatten uns schon an ein rudimentäres bis ausbleibendes Verständnis ihrer wortreichen Erklärungen gewöhnt) etwas unvermittelt kam, aber durchaus hübsch anzuhören war. Auch sie bemerkte wiederholt die fiese Kälte und bot uns für die Bootsfahrt, die einen Teil im Minutentakt durchorganisierten Gruppenunternehmung bildete, niedliche jackentaschengroße Heizkissen an. Auf dem Fluss gab es windhosenartige, bunt bemalte Fische aus Fallschirmseide, die an langen Schnüren gespannt über unseren Köpfen flatterten, sowie interessante vom Wasser geschliffene Felsformationen zu bestaunen; wirklich aufregend wurde es aber, je höher wir in unserem röhrenden, dankenswerterweise für einen Bus recht kleinformatigen Gefährt die beängstigend schmalen Serpentinen erklommen. Man überquerte nämlich im Sinne eines Höhepunkts eine jahrhundertealte, dankenswerterweise aber alle drei Jahre renovierte Brücke aus irgendwelchen morsch anmutenden, aber sichtlich metallverstärkten und zu stabilen Tauen gewundenen Ranken, deren eigentlichen Kitzel der Abstand zwischen den Sprossen ausmachte, auf denen man über den Canyon balancierte. Einige sichtlich ortskundige Jungspunde versuchten einander in der Mutprobe zu übertreffen, freihändig zwischen den zu beiden Seiten sich mehr oder minder verkrampft an den seitlichen Tauen entlanghangelnden Touristen über das spärliche, schwankende Holz zu marschieren; ich selbst hätte das, als ich mir mit dem einmaligen Überqueren des Flusses entsprechende Trittsicherheit angeeignet hatte, auf dem Rückweg gerne auch probiert, wurde aber von einer entschiedenen Lautsprecherstimme, als deren Adressatin ich mich glücklicherweise schon nach ein paar Schritten erkannte, sofort wieder retour geschickt: Die Brücke war zwar zu jenem Zeitpunkt beinahe leer, aber doch eine touristisch durchorganisierte Einbahnstraße, und ich war eben schon mal drüben angekommen. Schade eigentlich.

Aber genug zum heutigen Tag. Der gestrige nämlich stand im Zeichen dessen, weswegen ich mich einen Keks freue, wieder in Japan zu sein. Weiterlesen …

in die Ferne

24. März 2012

Der (vor-)gestrige Flug von Frankfurt nach Kansai Kokusai Kuko (was für ein herrlicher Name!) dauerte elf Stunden, und zwar von zwei Uhr mittags bis neun Uhr morgens, jeweils Ortszeit. Ich verbrachte ihn damit, mit kindlich vergnügtem Quietschen ohne Unterlass auf dem vollautomatisch verstellbaren Sitz herumzuturnen, der sich nach einem mir bis zuletzt unbegreiflichen Prinzip beim Druck derselben Tasten bald hob, bald senkte, bald vor- und zurückschob, außerdem mein Glück kaum fassen zu können und mich dementsprechend in der so genannten Klasse, in die ich da ohne eigenes Verschulden geraten war, ausgesprochen deplatziert und dennoch mopsfidel zu fühlen; ferner schlief ich, und zwar das erste Mal auf einem Langstreckenflug überhaupt, tatsächlich zwischendurch mehr als eine Stunde am Stück (nämlich zweieinhalb), las in der Zwischenzeit ein paar Kapitel des vor meiner Abreise eilig ergatterten Romans und ließ mich von mehreren je einstündigen Mixtapes (meinem Bruder und seinem Musikgeschmack sei Dank) in ziemliche Entrückung dröhnen.

Im Übrigen war ich einmal mehr fasziniert von der Zeit- und Raumlosigkeit des Fliegens: Binnen Stunden hatten wir sowohl mir bekannte und vorstellbar weit entfernte Länder und Landschaften (Lettland, Finnland, den Westen Russlands) als auch welche überquert, in denen ich nie war, die wir dabei aber ja sozusagen durchreisten (Sibirien, China, Korea, die Mongolei), und waren außerdem sprichwörtlich durch die Nacht geflogen und ihr dabei rasch entronnen. Das schon aus Gründen der vielzitierten nationalen Mentalität rücksichtsvolle Naturell, das die meisten unserer Mitreisenden auszeichnete, verbot ihnen, während der Nachtruhe (nach welcher Nacht wo auf der Welt die sich auch richtete) die Fensterabdeckungen zu lüften, weswegen ich Sonnenauf- und -untergang versäumte und also erst recht keinen Bezug mehr zum Rest der Welt und ihren Zeitzonen zu fühlen vermochte.

Entsprechend losgelöst von Zeit und Raum, und nicht zuletzt auch in einem der Dauer der Reise völlig ungehörigem Maße ausgeruht, waren wir also auf einmal hier in der fremdartig vertrauten Ferne (die ich, das sollte ich im Sinne der Nachvollziehbarkeit hinzufügen, schon vor einigen Jahren einmal für zwei Wochen besucht hatte, deswegen aber noch längst nicht kenne).

Kaum trat man am Flughafen zur Passkontrolle, fing es an: Alles machte Geräusche, zirpte, klingelte, schellte; Bildchen überall, Piktogramme, putzige Erklärmaskottchen, und jene durchaus graphischere Schrift als die unsere; wann immer jemand sprach, tat er es mit zahlreichen, von Höflichkeiten durchtränkten und rasant sprudelnden Worten, unter beidhändigen, sehr geradlinigen Gesten und mit einem unregelmäßigen, aber berechenbaren Beugen des Kopfes und der Schultern. Wie genau sich das noch im Flughafen gestaltete, erläutere ich mal aus demjenigen Grunde nicht, aus dem man da ja auch nicht filmen darf; das Ganze steigerte sich ja ohnehin noch, als wir es bis zum Bahnsteig geschafft hatten, an dem unser Zug nach Shin-Osaka abfahren sollte: Die Rolltreppen wiesen einen mit einem leisen Gong und freundlich gesprochenen Worten sowohl auf ihr Betreten als auch das nahende Ende der Fahrt hin. Die Gleise überschallte ein rätselhaftes Vogelgezwitscher, durchbrochen von kurzen Melodien, die entweder Durchsagen ankündigten oder auch völlig ohne erkennbaren Anlass ertönten. Man stand allerdings in diesem Falle, wohl weil es sich bei den Anwesenden zu weiten Teilen um Touristen und außerdem um nachvollziehbar übernächtigte Fluggäste hielt, nicht exakt in Warteschlangen an den Sollhaltestellen der einzelnen Zugtüren, sondern lümmelte noch einigermaßen außer Reih und Glied auf dem Bahnsteig herum. Als die Bahn einfuhr, machten sich ohnehin zunächst einige blau Uniformierte, samt und sonders mit Mundschutzmasken, über sie her, verhängten die Eingänge mit untertänigst um Geduld bittenden Schildern, putzten geschwind durch und stellten sicher, dass sich die drehbaren Sitze ausnahmslos in Fahrtrichtung befanden, ehe sie uns einließen. Zwei entsprechend komfortable Zugreisen später erreichten wir erschöpft und zufrieden unser Hotel in Okayama und ich mein Bett darin, das ich an jenem Tag, in dessen Verlauf ich mich dann doch der übermannenden Müdigkeit ergeben musste, nur für ein heißes Bad im obersten Stockwerk wieder verließ.

Da ich damit meinen Biorhythmus erfolgreich dahingehend umgestellt habe, dass ich morgens um vier wach werde und abends um neun müde (und ich will gar nicht wissen, was das in Deutschland für Zeiten sind), werde ich es für heute bei diesen paar Impressionen von der Reise im engeren Sinne des Wortes belassen und mich erneut dem Bette, diesmal schon einem in Awa-Ikeda, anempfehlen. Von den Katzen und Kirschbäumen, die uns heute in Okayama begegneten, bald mehr!

aus gegebenen Anlässen

21. März 2012

Zuallernächst schlage ich, um dem ersten der besagten Anlässe gerecht zu werden, im Blaubär das Gimpeln nach: ein Reueritual, das im Wesentlichen darin besteht, sich mit Sand zu bewerfen und das eigene Versäumnis in die Wüste zu schreien (in einer ebensolchen hausen nämlich die nomadischen Gimpel, nachzulesen im neunten der dreizehneinhalb Lebenskapitel). Mir scheint es in eigener Sache angebracht, weil ich diesen Blog auf das Sträflichste,  Schäbigste und Schmählichste vernachlässigt, ja sogar von Muriels bezaubernder Verlinkung (allerliebsten Dank!) erst mit mehrwöchiger Verzögerung Wind bekommen habe.

Leider habe ich keinen Sand zur Hand. Morgen allerdings breche ich nach Japan auf, und in einer Woche dürfte es mich in die Dünen von Tottori verschlagen, also kann ich das vielleicht nachholen.

Die Moers-Zitate nehmen wirklich überhand: Sie gehören eigentlich durch Bezugnahmen auf andere Autoren ausgeglichen. Vielleicht liegt es an der gegenständlichen Art der zamonischen Phantastereien, dass sie mir öfter einfallen als abstrakte, wenn auch noch so beredte Worte, vielleicht an meiner langjährigen Prägung durch die Lektüre, vielleicht auch an der Allgemeinverträglichkeit (im Sinne des Sitten- und Jugendschutzes) meiner sonstigen Lieblingsbücher: In den letzten Wochen habe ich mich in rasender Begeisterung durch sämtliche Dexter-Romane gearbeitet, die ihrer seriellen Televisierung (von der ich andernorts schon geschwärmt habe) in abstruser Blutrunst und Psychopathologieverherrlichung nicht nur keineswegs nachstehen, sondern sie noch um Längen übertreffen. Gleiches gilt übrigens für einen Film, auf den ich gestern gestoßen bin und der mich nachhaltig beeindruckt hat: Er verbindet auf elegante Weise makabre Grobschlacht und bittersten Humor (es sei an dieser Stelle erwähnt, dass ich angesichts zweier besonders unvermittelter Blutvergießungen in derart schallendes Lachen ausbrach, dass ich selbst davor erschrak) mit einer hinreichend unprätentiösen Prise ethischen Hintersinnes, ist brillant, um nicht zu sagen perfekt besetzt, und basiert seinerseits auf einem Buch mit Namen The Repossession Mambo, das dank Amazon Morning Express bereits in meiner Handtasche des morgigen Langstreckenfluges harrt.

À propos Reisen: Ich hatte ja noch einen Anlass, einige Zeilen zu verfassen. Heute verfiel ich nämlich auf die attraktive, aber wohl doch feige Idee, das Leben könne doch wohl ein wenig mehr mit Speed Dating gemein haben. Insbesondere Bahnfahrten! Denn man denke sich das folgende Szenario: Zwei Menschen betreten durch dieselbe Tür einen Zug, ohne sich zuvor auf dem Bahnsteig begegnet zu sein. In Ermangelung anderer Sitzplätze entfernt man sich eine halbe Wagenlänge voneinander, von gelegentlichen Blicken abgesehen, deren Tiefe zwar durchaus nicht für ein anlass- und vorwandloses Ansprechen eines Wildfremden ausreicht, aber doch nahelegt, dass man gegen Anlass oder Vorwand beiderseits eigentlich gar nichts gehabt hätte. Wäre es nun nicht herrlich, wenn man diesen Gedanken zentral vermerken  könnte, und bei einer Übereinstimmung mit der Gelegenheit zu einem Wiedersehen belohnt würde?

Das ist natürlich, wie gesagt, eine feige Idee, die zwar allen Beteiligten und Betroffenen die Peinlichkeit einseitigen Interesses erspart (über die ich schon das eine oder andere Wort verloren habe), aber eben auch derartigen Begegnungen ihr Potential nimmt, sich serendipitös zu entfalten. Ein überfüllter Bahnwagen hat leider eh schon nicht sehr viel davon. Mehr schon ein Schreibwarengeschäft, in dem ich einst unentschlossen auf die zu je 50 Stück verkäuflichen Briefumschläge starrte, derer ich nur einen brauchte, bis ich in nächster Nähe einen ansehnlichen Lockenkopf bemerkte, der es mir gleichtat: Als er schließlich nach einer Packung griff, schlug ich einen Handel um ein paar Pence vor, dessen Vollzug vergnüglich war – und leider auch nicht im Austausch von Namen und Telephonnummern endete. Case in point: Auch in diesem Falle wäre eine metaphysisch zugängliche Interessenskartei gut gekommen. Besser jedenfalls als die Kleinanzeigen, die mir alle Jubeljahre mal in irgendwelchen Zeitungen begegnen – heißen die nicht irgendwie? Bestimmt. Bestimmt sind sie auch nicht ganz so herzzerreißend sinnlos, wie sie mir immer scheinen, wenn ich sie mal lese. Ich werde dennoch darauf verzichten, im lokalen Tagesblatt nach einem Typ mit Kopfhörern, weißem Hemd und Reisetasche zu inserieren: Schon aufgrund des Gepäcks darf wohl von der Einmaligkeit des gegenseitigen Zugesichtbekommens ausgegangen werden. Außerdem bin ich ja selber auch bald weit weg.

Aber, und damit schließt sich der Kreis, im und aus dem fernen Osten werde ich sicherlich euch, geneigte Leser, mehr zu berichten haben als in den letzten Wochen. Also muss ich mich dann in Tottori vielleicht gar nicht mehr, oder jedenfalls nur noch nachträglich, gimpelnd mit Sand bewerfen und meinen Writer’s Block in den Wind plärren.

Das sind doch schöne Aussichten.

zaghafter Versuch einer Solidarisierung, ein wenig im Sande verlaufen

13. Januar 2012

»Leute welchen Schlages?« fragte ich.
»Künstler!« rief Smeik, und er sprach dieses Wort so aus, als hätte er »Ratten« gesagt.

(Die Stadt der Träumenden Bücher)

Vorhin habe ich einige faszinierende Menschen in einem Fernsehprogramm gesehen, das mich seinerseits fasziniert hat: Es lief nämlich unter der Genrebezeichnung Castingshow und versprach deswegen erfahrungsgemäß nicht die Art künstlerischer und musikalischer Qualität, die ich in seinem Verlauf zu meinem freudigen Erstaunen um die Ohren gehauen bekam.

Deren bemerkenswertes Ausmaß lag vielleicht an der Vorauswahl der Kandidaten durch einen Menschen, der seinerseits die Titel Musiker und, in der Tat, Künstler unbestreitbar deutlich überzeugender verkörpert als die Herrschaften, die sonst gelegentlich in den so genannten Juries derartiger Formate anzutreffen sind. (Ich könnte jetzt noch einen kontrastreichen Vergleich mit einem anderen sehr jungen Programm anstellen, das eigentlich auch so ähnlich gedacht zu sein scheint; da der aber wenig ersprießlich wäre, lasse ich ihn bleiben.) Jedenfalls war die überwiegende Mehrzahl der zehn Hoffnungsvollen, die heute Abend nacheinander über die Bühne huschten, sich in oft unverhofft charmant gestammelten Worten selbst vorstellten und dann einige melodische Töne äußerten, um sich mittelfristig zum Singen nach Azerbaijan verschiffen zu lassen, von einer Art, dass ich mir dachte, Das sind Musiker. So selten ich ansonsten in derlei Shows reinschaue: Den Gedanken hatte ich dabei noch selten bis nie.

Er ließ sich, als ich mit großen Augen einige Auftritte verfolgt hatte, allmählich generalisieren auf Künstler. Ich weiß nicht, ob es sinnvoll ist, diese Sorte Menschen zu einer ebensolchen zu erklären – vor allem, weil das für meine zweiflerische Wenigkeit die schwierige Frage nach sich zieht, ob ich denn eigentlich, oder eigentlich wirklich, oder eigentlich wirklich so richtig, dazugehöre.

Dazugehören ist ja für Künstler überhaupt so ein Thema, also zum normalen, richtigen Leben im Unterschied zu hohen inspirativen Sphären bzw. zur (Hypo-)Manie und Depression, ohne die erstere leider kaum erreichbar scheinen. (So was Ähnliches hatten wir schon mal. Ich wiederhole mich.) Erst vor kurzem habe ich in einer herumliegenden Ausgabe des Magazins Gehirn & Geist (die Herren und Damen Eltern, bei denen das herumlag, sind vom Fach) von wenig überraschenden wissenschaftlichen Belegen dafür gelesen, dass Künstler, insbesondere Dichter – ggf. im Unterschied zu Schriftstellern (auch das hatten wir schon mal) – tendenziell einen an der Waffel haben. Will sagen, kreatives Schaffen geht ab einer bestimmten Kragenweite einher mit einer Tendenz zu manisch-depressiven und anderweitigen Störungen im klinischen Sinne. Grenzen des Pathologischen und der Alltagstauglichkeit sind bisweilen ein Thema, oder eben gerade keines mehr.

Nun neigt ein Student der Psychologie bekanntlich dazu, der Reihe nach nahezu alles, was er zu diagnostizieren lernt, bei sich selber zu diagnostizieren, und einen ähnlichen Effekt konnte ich bei mir selber feststellen; aber ich hatte eben schon öfter das (sicherlich seinerseits aus einer vielleicht ihrerseits künstlerischen, vielleicht auch nur albernen Theatralik heraus überstilisierte) Gefühl, mich zwischen einem künstlerischen und einem, nun, einem normalen (sprich beruflich erfolgreichen, anständigen, zurechnungsfähigen, affektiv ausgeglichenen etc.) Leben entscheiden zu müssen. (Auch darauf komme ich nach einiger ausschweifenden literaturtheoretischen Faselei im ersten der beiden oben verlinkten Artikel zu sprechen. Da war mir wohl ähnlich wirr zumute wie jetzt. Was wieder dafür spricht, dass ich zumindest hier keine schriftstellerische Kunst betreibe, denn dann würde mir mein Perfektionismus verbieten, derlei inkohärentes Gewusel sozusagen in Druck zu geben.)

Und dann sehe ich im Fernsehen einen Menschen, den ich zwar nicht kenne, dessen Art zu sprechen, sich zu bewegen, den Blick ständig in irgendwelche defokussierten Weiten zu richten, mit befremdlichem Charme präsent und abwesend zugleich zu wirken usw. mich derart nachhaltig beeindruckt und zum Nachsinnen anregt, dass ich in aller Ernsthaftigkeit einen Artikel über ein Fernsehprogramm und die Kunst aufzusetzen eile. (Das Mädel, in dessen stichprobenartig beobachtete Verhaltensmuster ich jetzt – vielleicht unverhältnismäßig – die Charakteristik eines gewissen, siehe Zitat, Menschenschlages hineingeheimnisse, möge es mir nachsehen: In erster Linie ist sie nämlich einfach für sich und unrepräsentativ großartig.)

Damit, also mit fahrigem, entrücktem Auftreten, lässt sich zwar auch eine Zugehörigkeit ausdrücken, einer Szene vielleicht. Aber irgendwie ist man doch immer in einer anderen Welt unterwegs als in der welchem Begriff nach auch immer richtigen, wenn man ein Künstler ist (also einer von dem Schlage, den ich hier so vage im – zugegeben: grippal umnachteten – Sinn habe). Dann ist man entweder das, was man landläufig abgespaced nennt, oder man tut so, als wäre man es nicht, sondern einfach ein normaler Mensch (nebenbei: Normalität und insbesondere auch Echtheit sind merkwürdige, manchmal auch manipulative und diskriminierende Konzepte, die zu diskutieren mir aber grundsätzlich viel zu schwierig ist). Dabei kommt sich je nach Grad der gefühlten Abgespacedheit ggf. vor wie der Schauspieler, der man ggf. auch ist, denn Schauspieler sind ja Künstler, manche jedenfalls. Aber all the world’s a stage, wie man ja weiß, und überhaupt rede ich fiebrig, das bin ich nämlich (sehr zu meinem Chagrin) immer noch.

Gefiebert im übertragenen Sinne habe ich auch um die Ergebnisse des Votings der eingangs erwähnten Sendung, die in revolutionärer Weise live eingeblendet wurden. Ich würde ja sagen, es wäre ein Jammer gewesen, dass sie nur die obere Hälfte der zehn Kandidaten in die nächste Runde gelassen haben, weil die ersten Sechs so unsagbar dicht beieinander lagen, aber es wird wohl ein Nebeneffekt genau dieser Regel gewesen sein, dass die Fans der besagten Sechs besonders erbittert um den Einzug in die übernächste Folge telephoniert und getextet haben. (Wäre sechs die magische Grenze gewesen, hätte es vielleicht einen knappen Siebten gegeben.)

Meine Favoritinnen jedenfalls, für die ich, das gebe ich offen zu, gerne einen Euro für die Übersendung zweier Buchstaben an die 40400 zu zahlen bereit war, haben es geschafft, und die sind beide m. E. wirkliche Künstlerinnen. So was im deutschen (!) Fernsehen (!) zu entdecken, beglückt mich in meinem momentan geringfügig tristen (weil nach wie vor von Kleenex, grünen Tabletten und lauwarmem Tee bestimmten) Dasein ungemein.